Die Sage über den Zweig des Zweifels
Rigden: …Immerhin erzeugt Angst die Zweifel. Für das Erringen der geistlichen Höhen ist aber die Reinheit deines aufrichtigen Glaubens nötig. Gerade Zweifel und Angst sich von seinem gewohnten Leben zu trennen, halten den Menschen zurück. In dieser Hinsicht gibt es eine interessante Sage:“Einmal ist ein Mensch den Abhang hinunter gestürzt. Als er fiel, ist es ihm gelungen sich am Zweig des kleinen Baumes festzuhalten, der in der Spalte des Felsens wuchs. In der Mitte des Abhangs hängend, erkannte er die ganze Aussichtslosigkeit seiner Lage: es gab keine Möglichkeit nach oben hinaufzuklettern und unten waren die massiven Felsbrocken. Die Hände, die den Zweig festhielten, schwächten. Der Mensch dachte:
“Jetzt kann mich nur Gott retten. Ich habe nie an Ihn geglaubt, aber es scheint, dass ich mich irrte. Was habe ich in meiner Lage zu verlieren, wenn ich jetzt an Ihn glaube?”
Er begann Gott mit all seiner Aufrichtigkeit im Gebet zu rufen:
“Gott, wenn es dich gibt, rette mich! Ich habe niemals an Dich geglaubt, aber wenn du mich jetzt rettest, werde ich von diesem Augenblick an immer an Dich glauben.”
So rief er nicht nur einmal zu. Plötzlich erklang eine Stimme vom Himmel:
“Du wirst glauben? Oh nein, ich kenne solche Menschen wie dich.”
Der Mensch war so erschrocken und verwundert, dass er den Zweig fast losgelassen hat. Aber dann, als er zu sich kam, betete er noch mehr:
“Bitte, lieber Gott! Von nun an werde ich Dir der Treueste von allen sein, und werde alles tun was Dein Wille ist, rette mich nur!”
Gott stimmte jedoch nicht zu, und der Mensch begann Gott noch leidenschaftlicher und stärker anzuflehen und zu überzeugen. Schließlich hat sich Gott über ihn erbarmt und sagte:
“Gut, so sei es. Ich werde dich retten. Lass den Zweig los.”
“Was?! Den Zweig loslassen?” rief der Mensch.
“Denkst Du, ich bin des Wahnsinns?”
“So ist das auch im Leben. Das Leben des Menschen ist in der Tat das Schweben über dem Abhang. Obwohl ihm die ganze Sterblichkeit seiner Lage bewusst ist, hält er sich doch mit beiden Händen am Zweig des Zweifels seiner tierischen Natur fest, voller Angst ihn zu verlieren und auf den Willen Gottes zu vertrauen.”
Sage aus dem Buch von Anastasia Novich «AllatRa»